Kunst und Wissenschaft

Felix Sattler über Kunst und Wissenschaft

Wir sprachen mit Felix Sattler vom Tieranatomischen Theater am Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik über Hermann von Helmholtz‘ Forschung zu den Tonempfindungen sowie über die Bedeutung, die Helmholtz der Interdisziplinarität in der Forschung beimaß.

Felix Sattler hat Medienkultur und Mediengestaltung studiert und war künstlerischer Mitarbeiter der Fakultät Medien an der Bauhaus-Universität Weimar. Inzwischen arbeitet er als Kurator am Tieranatomischen Theater am Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der Humboldt Universität zu Berlin. Hermann von Helmholtz fasziniert Sattler aus vielen Gründen.

Lieber Herr Sattler, am Tieranatomischen Theater am Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik fanden verschiedene Veranstaltungen und Ausstellungen statt, die sich auf die Arbeiten von Hermann von Helmholtz zur optischen und akustischen Wahrnehmung beziehen. Worum ging es konkret?

Wir haben im Jahr 2015 ein erstes Projekt gemacht, dass sich vor allem mit Helmholtz‘ Forschung zur Akustik beschäftigt hat. Wenn ich hier von ›wir‹ spreche, meine ich insbesondere den Künstler Jan-Peter E. R. Sonntag, ein Kunstschaffender und Komponist, der seit Jahren als Medienkünstler arbeitet, vor allem Installationen gestaltet, die klangliche, aber auch optische Phänomene behandeln. Ein Jahr zuvor war Sonntag erstmals mit der Idee zu dieser Initiative zu uns gekommen und hatte bekundet, dass er gerne einmal etwas machen würde zu Helmholtz‘ Akustik, insbesondere zu einem Apparat, der in der "Lehre von den Tonempfindungen" von Hermann von Helmholtz (seinem wichtigstes Werk zur Akustik) konkret beschrieben wird. Dieser Apparat heißt "Apparat zur künstlichen Zusammensetzung von Vokalklängen".

Helmholtz hat diesen Apparat in seiner Publikation detailliert charakterisiert und ihn schließlich auch aufbauen lassen von dem bekannten Instrumentenbauer namens König. Es handelt sich dabei um ein Gerät, das wie folgt funktioniert: Es gibt magnetisch angeregte Stimmgabeln, die Sinusartige-Töne produzieren können. Mit diesen lässt sich Helmholtz‘ Theorie beweisen, dass es sich bei allen Tönen, die wir in unserer Umwelt hören, und die auch von Musikinstrumenten produziert werden, tatsächlich um zu Klängen zusammengesetzte Töne handelt. Das ist eine revolutionäre Erkenntnis, zu der Hermann von Helmholtz damals gekommen ist. Und diese Erkenntnis steht im Mittelpunkt des Projekts, das wir zum einen als Kammeroper im Jahr 2015 realisiert haben, und dann später 2017 noch mal bei Wiederaufnahme der Kammeroper, aber erweitert um eine große Ausstellung von Jan-Peter E. R. Sonntag in unser laufendes Programm genommen haben.

Die Ausstellung 2017 spannte dann noch mal einen größeren Bogen von Helmholtz und seiner Zeit des 19. Jahrhunderts ins 20. und 21. Jahrhundert. Die Ausstellung untersuchte vor allem auch das Nachwirken der Helmholtz-Experimente, seiner Theorien und Erkenntnisse, sprich die Auswirkungen auf die moderne Musik, aber eben auch auf die Medientheorie des späten 20. Jahrhunderts.

Was macht für Sie die Faszination an der Forschung von Hermann von Helmholtz auf diesem Gebiet aus?

Es gibt eine ganze Reihe von Aspekten, die einen an der Forschung von Hermann von Helmholtz faszinieren können. Ich will im Folgenden zwei, drei davon herausgreifen, die für uns und die Ausstellung, sowie für die Kammeroper von besonderer Bedeutung sind.

Der eine Punkt ist, dass Hermann von Helmholtz jemand war, der bereits in den 1850er, 1860er Jahren (und später wieder erneut) eine besondere Forderung aufwirft, dass nämlich die Disziplinen - und damit meint er nicht nur die naturwissenschaftlichen Disziplinen, sondern auch die Geisteswissenschaften und die Philosophie und eben auch die Künste - nicht auseinanderfallen dürfen, sondern dass man gemeinsam denken und das Denken auch in entsprechenden Studien vereinen muss. Diese sehr deutlich von ihm vorgetragene Forderung, unter anderem in den späteren Ausgaben der "Lehre von den Tonempfindungen", ist ein Plädoyer für Interdisziplinarität, das einen noch heute begeistern kann.

Auch wenn der Begriff Interdisziplinarität inzwischen inflationär eingesetzt wird und einem zuweilen aus den Ohren kommt, ist der Helmholtz’sche Ansatz äußerst interessant. Auch, weil Helmholtz hier eine bestimmte Entwicklung begleitet und darüber hinaus. Denn als Universalgelehrter, so kann man sagen, begleitet Hermann von Helmholtz diese Entwicklung nicht nur, sondern er durchschaut und durchdringt sie auch. Nämlich dahingehend, dass sich eine Entwicklung von Disziplinen hin zur Spezialisierung vollzieht, die auf der einen Seite notwendig ist, weil sich das Wissen immer weiter ausdifferenziert und entsprechend detailliert beschaut werden muss. Auf der anderen Seite aber steht Helmholtz‘ Erkenntnis, dass man den großen Bogen spannen muss, will man den etwas wirklich umfassend verstehen.

Helmholtz sagt, dass man die von ihm untersuchten Phänomene nicht verstehen kann, wenn man sie nicht sinnlich erfahrbar macht und nicht auch sinnlich begreift. Andererseits muss man sie selbstverständlich auch naturwissenschaftlich (sprich rational) durchschauen. Und beides (sinnliches wie rationales Verständnis) ist miteinander rückgekoppelt. Helmholtz‘ Ansatz hilft einem zu einem umfassenden Verständnis. Dieser Ansatz - das ist für mich der eine große Punkt, der mich sehr fasziniert an Hermann von Helmholtz.

Und der zweite Aspekt, der Sie an Hermann von Helmholtz fasziniert?

Der andere Punkt bezieht sich darauf, wie Helmholtz dabei vorgeht, wie er Interdisziplinarität lebt, wie er das auch kommuniziert. Das haben wir auch in der Kammeroper zu vermitteln versucht: Helmholtz das Genie, Helmholtz der Kommunikator.

Hermann von Helmholtz ist auf der einen Seite einer der wichtigsten Gelehrten seiner Zeit, ein absoluter Avantgardist mit Blick darauf, was er in der Lage ist zu denken und sich vorzustellen - wie es seine Theorie der Zusammensetzung von Tönen zu Klängen eindrucksvoll demonstriert. Dank dieser Theorie ist man in der Lage zu erkennen, dass die menschliche Stimme ganz analog zu Musikinstrumenten nicht als Klangidentitäten begriffen werden darf, die man nur rekonstruieren kann, wenn man das entsprechende Instrument entsprechend spezifisch nachbaut. Sondern, dass Hermann von Hermanns begreift, dass es ein gemeinsames und universelles Prinzip gibt, mit dem diese Klänge beschrieben werden, und darauf basierend diese Klänge entsprechend auch synthetisiert werden können. Dank dieser Einsicht ist Hermann von Helmholtz absolut Avantgarde.

Zugleich ist er auch jemand, der in seinen Veröffentlichungen, in seinen Briefen an seine Frau und seine Freunde, in seinen Vorträgen, die er gehalten hat, den Ton der Kommunikation so gekonnt trifft, dass er auch für ein Laienpublikum (das zum Beispiel die Salons seiner Frau besuchte) interessant und verständlich blieb. Helmholtz wendet eine wissenschaftliche Sprache an, die einen mit einer gewissen Poetik in den Bann zieht. Ich möchte hier mal einen solchen Satz zitieren: "Tief drin im Gehörgang befindet sich ein kleines Organ, man nennt es die Schnecke." Dann fährt er in seiner Abhandlung fort. Das sind Sätze, die den Zuhörer in den Bann ziehen, weil sie sowohl physiologische Merkmale und Prozesse des Körpers beschreiben, die physikalische Gesetzmäßigkeiten aber auch in einer Weise übersetzen, dass es einen mitreißt und man einfach mehr darüber erfahren möchte. Und genau diese beiden Fähigkeiten von Hermann von Helmholtz haben uns im am Tieranatomischen Theater am Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik sehr begeistert: Seine avantgardistischen Ansätze und die Fähigkeit, seine Gedanken vermittels einer tollen Sprache zu kommunizieren.

Der Jubilar Hermann von Helmholtz ist auch Namenspatron Ihres Instituts: Was plant das Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik im Jubiläumsjahr 2021?

Das Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, das zur Humboldt-Universität zu Berlin gehört (und nicht zur Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren, wie manchmal fälschlicherweise angenommen wird), ist ein interdisziplinäres Zentralinstitut der Humboldt Universität. Das ist in gewisser Weise etwas Besonderes, denn davon gibt es nicht so viele an unserer Universität. Wir vereinen an unserem Institut ganz unterschiedliche Disziplinen in einem Institut in Form von Zweitmitgliedschaften.

Entsprechend dieser organisatorischen Struktur des Zentralinstituts gibt es unterschiedliche Ansätze, wie sich die Beteiligten mit Helmholtz auseinandersetzen wollen im Jubiläumsjahr. Relativ viel wird dazu in der Lehre stattfinden, weil wir die Studierenden eng in das Jubiläum einbeziehen möchten. Auch weil die Kolleginnen und Kollegen, die die entsprechenden Lehrveranstaltungen anbieten, dies für ihre eigenen Publikationen zu Helmholtz verwerten möchten. Die sonstigen Aktivitäten im Bereich Transfer und Outreach im Rahmen von öffentlichen Projekten und so weiter haben wir in diesem Zusammenhang dagegen etwas zurückgefahren, auch, weil es bereits in den letzten Jahren diese besagten zwei großen Projekte zur Akustik gegeben hat.

Nichtsdestotrotz haben wir uns entschieden, ein Experiment von Hermann von Helmholtz nochmals aufzugreifen, ein Experiment, dass Helmholtz, obschon er sehr viel experimentiert hat, offenbar lediglich theoretisch beschrieben, aber nie wirklich praktisch umgesetzt hat. Nämlich ein Spezielles Harmonium. Zur Erinnerung: Helmholtz hat immer wieder Studien am Klavier oder eigenen Harmonien durchgeführt. Teilweise hat er sie gespielt, teilweise hat er akustische Versuche unternommen, beispielsweise in sie hineingesungen und untersucht, wie die Resonanzen funktionieren, wie die Töne sich zusammensetzen und so weiter.

An einer Stelle seiner Arbeit beschreibt er ein Instrument (im doppelten Wortsinne) - also ein Musikinstrument, aber auch ein Instrument in einem wissenschaftlichen Sinne: nämlich ein sogenanntes Viertelton-Harmonium, dass er gerne konstruieren würde. Solche Viertelton-Harmonien sind selbstverständlich nicht handelsüblich, man konnte sie zu Helmholtz‘ Zeiten nicht erwerben, und kann es auch heute nicht. Ein solches Viertelton-Harmonium müsste man deshalb speziell anfertigen. Unsere Idee ist nun, dass wir im nächsten Jahr einen Workshop anbieten, zusammen mit Jan-Peter E. R. Sonntag und dem Medien- und Kulturwissenschaftler Christian Kassung, der ebenfalls sehr viel zu diesem Kontext am Helmholtz-Zentrum und der kulturwissenschaftlichen Fakultät forscht.

Konkret planen wir, mit Jugendlichen und Studierenden zusammen historische Harmonien beziehungsweise Nachbauten dieser Instrumente zu zerlegen und daraus ein neues Viertelton-Harmonium zusammensetzen. Dabei geht es nicht nur darum, den Spaß am Zusammenbau zu erleben (was zweifellos auch eine wichtige Komponente des Vorhabens darstellt), sondern vor allem darum, dass man analog zu dem, was Hermann von Helmholtz beschrieben hat, vorgeht und durch die Dekonstruktion wie Konstruktion des neuen Harmoniums sinnlich erlernt, wie Helmholtz Tonlehre eigentlich funktioniert. Wir wollen uns dabei mit Begriffen und Phänomenen auseinandersetzen, die in der Musiktheorie und Musikerziehung Standards darstellen. Beispielsweise die ›Schwebung‹. Ein solches Phänomen kann man dank des geplanten Vorhabens ganz anders und experimentell aufgreifen und damit sowohl zu Erkenntnissen bei der Gehörsbildung gelangen als auch zum theoretischen Grundlagenwissen der Musik beitragen. Das ist das eine konkrete Vorhaben, das wir für das Jubiläumsjahr vorsehen.

Und dann haben wir noch ein zweites Projekt, an dem wir im Jubiläumsjahr dran sind, wobei ich so viele Details noch nicht verraten darf. Wir wollen nämlich noch ein weiteres Konzert in Auftrag geben, bei dem es noch einmal darum gehen soll, den großen, eben schon angesprochenen Bogen von der Mitte und zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in unserer Zeit zu schlagen und zu gucken, wie viel ›Helmholtz‹ steckt eigentlich in der neuen und insbesondere elektroakustischen Musik. Wir wollen Dinge untersuchen, die uns in unserer Musikerfahrung durchaus geläufig sind, Klänge, die sowohl auf der Zeitachse als auch der Frequenzachse im Spektrum fast atomisiert und neu zusammengesetzt werden. Das ist heutzutage durchaus geläufig, und dafür gibt es auch sehr viele Tools, aber wir wollen untersuchen, inwieweit diese Werkzeuge auf Grundprinzipien von additiver Synthese - und damit auf Denkansätze von Helmholtz - zurückzuführen sind.

Es soll dazu auch ein Konzert geben, dass zur Jahresmitte 2021 (vermutlich im August) stattfindet, weil wir es unter den absehbaren Bedingungen angesichts der Corona-Pandemie auch als Open Air-Konzert realisieren möchten. Das Konzert soll um das Tieranatomische Theater herum auf dem Campus Nord der Humboldt Universität stattfinden.

Ein wunderbarer Ausblick auf das Jahr! Vielen Dank für dieses Gespräch.

03.12.2020, Das Interview führte Ilja Bohnet

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